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Disillusion: Gloria (Review)

Artist:

Disillusion

Disillusion: Gloria
Album:

Gloria

Medium: CD
Stil:

Progressive Metal

Label: Metal Blade/SPV
Spieldauer: 51:13
Erschienen: 2006
Website: [Link]

Ihr erstes vollständiges Album konnte man trotz seiner Eigenständigkeit noch grob Freunden skandinavischer Prog-Extremisten von Opeth bis Emperor ans Herz legen. Was DISILLUSION nun aber mit „Gloria“ vorlegen, löst das unausgesprochene Versprechen ein, völlig einzigartig zu klingen und Genregrenzen zu sprengen. Nichts auf diesem Album werdet ihr in dieser Form vorher irgendwo sonst gehört haben.

Mit Visionären ist es so eine Sache: ihre Einfälle mögen brillant sein, doch das garantiert nicht unbedingt breite Akzeptanz, selbst wenn die Umsetzung gelingt. Man darf Mutmaßungen über die Absichten der Erzeuger stellen, doch das Klangbild ist beeindruckend genug, um als Außenstehender das anvisierte Ziel als erreicht anzusehen. Metal ist nur noch eine Randerscheinung – bei aller Brachialität. Diese Verschiebung reflektiert auch das Arbeitsumfeld von Adam Ayan, der solch eindrucksvolle Masteringjobs wie diesen hier bereits für Nine Inch Nails und A Perfect Circle getätigt hat.

Wie also beschreibt man das Trio aus Leipzig im Jahr 2006? – Ein Abriss der einzelnen Songs gestaltet sich als schwierig, ist aber wohl die angemessene wie magere Art, Neues zu vermitteln.

„The Black Sea“ beginnt mit Streichern, einem undefinierten Klopfen und Chorgesang. Stürmisches Schlagzeuggeballer folgt, und der Charakter des Stückes bleibt lärmig – auch auf Grund der verzerrten Stimme mit wenig melodischer Bewegung. Undeutlicher hoher Gesang markiert etwas Refrain-artiges, jedoch kein Stück den einstigen Bandsound. Alles, was folgt, ist ähnlich kompakt und nicht mit der Epik von „Back To Times Of Splendour“ zu vergleichen.

„Dread It“ kommt minimal harmonischer, aber stakkatohaft und rhythmisch treibend, wenngleich nicht straight. Dafür sorgen bereits die unkonventionellen Gitarrensounds und unbequemen Melodien. Der Gesang setzt sehr tief an und mündet in einen erneut breiten Chorus. Die gesprochenen Parts scheinen dem Album einen Rahmen zu geben und tauchen hier wie auch im dritten Stück auf.

Es geht scheinbar ums Bügeln (!) in „Don’t Go Any Further“, und die betreffenden Zeilen werden im Lauf des Liedes wiederholt. Es ist tanzbar, was an der Fokussierung der Drums auf die Beckenarbeit liegt. Der Name ist gleichzeitig der monotone Chorus. Abgesehen vom beendenden Inferno aus Flugzeug- und Bombengeräuschen beeindruckt das Gekonnte Umsetzen technoider Musikprinzipien mit nach wie vor überwiegend organischer Instrumentierung.

„Avalanche“ startet vertraut mit frostiger Gitarrenarbeit und Doublebass, wobei die Sechssaiter andererseits ob ihres Klanges erneut schwerlich in den Metal-Konsens einzufügen sind. Wieder erscheint das Trippige von Hand gemacht. Der Song ist relaxter und verläuft linear mit klar gesungenem Chorus und nach wie vor versponnenen Melodien. Bisher das konventionellste Stück.

Der Titeltrack schlägt dafür dem Eimer den Boden aus: Engelschöre, schneller Metal und Drum’n’Bass-Elemente sowie Sprechgesang, Keyboardteppiche und moderne Riffs in rhythmisch verspieltes Kleid gepackt. Der Refrain ist schwelgerisch wie die unverzerrte Bridge mit fast traditionellen Leadgitarren, ehe eine Bläsersektion aufspielt. Der Chor verdichtet sich mit den lauter werdenden Gitarren zu befreiendem Lärm und macht „Gloria“ zum intensivsten Abschnitt des Albums. Die einführenden Textzeilen laufen am Ende im Hintergrund wieder ab – wie soll dies alles live funktionieren?

„Aerophobic“ setzt mit Computerbeats fern jeglichen Bumm-Bumms ein. Nie gehörte, zerhackte Synthies und Chorfetzen gesellen sich zu pluckernden Bässen und dicken Riffs. Auf Noise folgen Ruhe und dann eine leise Orgel. Die Snare trommelt bis zum finalen Gitarrenknall. Während dieses fließenden Übergangs in „The Hole We Are In“ enthebt sich ein Beat aus dem Chaos, der zu brutalem Metal mit Hochgeschwindigkeits-Schlagzeug wird. Dieser Aspekt durchzieht das sehr Band-typische Stück, unterbrochen von klarem Gesang und einer kratzigen Bridge mit allerlei Ticken und Pochen. Die Riffs bleiben dabei immer griffig.

„Save The Past“ scheint in der Tat das Anliegen im so benannten Track zu sein, da dieser mit schwarzem Schrammeln beginnt und recht eingängig ist. Auch hier hört man aber perkussives Drumming und kaum einem Instrument zuzuordnende Klänge. Zudem klingen die Vocals entrückt und lassen das Stück dadurch leicht neben der Hit-Spur laufen.

Chorgesang schleicht an den wahrhaftigen „Lava“-Riffs vorbei. Die Klampfen tönen abwechselnd kaputt und harmonisch angezerrt, führen zum konventionelle Hörgewohnheiten nicht brechenden Eingangslead von „Too Many Broken Cease Fires“, dem zweiten Rückgriff auf vertrautere DISILLUSION-Elemente. Der ist jedoch nicht so gelungen ist wie die Darbietungen des Debüts oder der beiden Kurzveröffentlichungen davor. Er klingt wie ein Überbleibsel; seitdem fühlt sich die Gruppe längst auf anderem Gebiet wohl. Folglich macht ein Schuss dem Ganzen ein Ende.

„This is not the same stupid quest“ verkündet das Outro, um auch dem Letzten die Unabänderlichkeit der Dinge klarzumachen: DISLLUSION sind klanglich nicht mehr die Alten, haben aber ihren Anspruch der Originalität bis zum Extrem ausgereizt und dabei ihre Neigung zum Kopf-Soundtrack beibehalten. Prinzipiell sind die Stücke weniger komplex als zuvor, doch ob der verwendeten Stilmittel und Sounds zunächst ungewohnt. Hört man das Album öfter, entstehen kleine Ohrwürmer. Bisher beeindruckt „Gloria“ bloß; entzücken tut es nicht, da die Emotionen nicht auf den gemeinen Hörer ansprechende Art vermittelt werden.

Es bedurfte schon mehrmals einer Metalband aus Deutschlands Osten, um der Szene ihre viel zu eng gefassten Grenzen aufzuzeigen. DISILLUSION erinnern nicht mit ihrer Musik, wohl aber von ihrer Herangehensweise her an die Berliner Depressive Age, die ähnlich gleichgültige Querschläger und glaubhafte Spartenhupfer waren. Naheliegende, wenn auch genauso wenig haltbare Vergleiche mögen die beiden EPs von Vauxdvihl oder die Trondheimer Manes bieten.

FAZIT: DISILLUSION haben ohne Zweifel das mutigste Album seit Langem innerhalb der Metalszene aufgenommen. „Gloria“ entzieht sich dem Vergleich und damit der Gunst eines breiten Hörerkreises, obwohl es prinzipiell als Genre-übergreifende Musik begriffen werden muss: Avantgarde, aber doch mit wirklichen Songs und nicht bloß Collagen. Bis auf Weiteres...

Andreas Schiffmann (Info) (Review 8235x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 10 von 15 Punkten [?]
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Tracklist:
  • The Black Sea
  • Dread It
  • Don’t Go Any Further
  • Avalanche
  • Gloria
  • Aerophobic
  • The Hole We Are In
  • Save The Past
  • Lava
  • Too Many Broken Cease Fires
  • Untiefen

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
Kommentare
hendrik [musikreviews.de]
gepostet am: 13.11.2010

Eine brillante Scheibe. Irgendwo las ich damals "David Lynch auf Metal". Das passt. "Noch nie irgendwo so gehört" - stimmt auch. Außerweltliche Melodien ("Lend me your tears, and we'll defy whatever..."), gemeingefährliche Hooks ("It's warlike, warlike - warlike, warlike"), ein Sänger mit der stimmlichen Präsenz und Dringlichkeit eines Predigers, Sounds aus einer retromodernen Zunkunft und immer alles fernab jeglicher Konventionen.

Gehört zu meinen Lieblingen.
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